Stelldichein am Thie
(Kommentare: 1)
21. Dezember

Wer Ilten kennt, kennt die Welt. Die versammelte Besucherschar beim 21. Adventskalender-Türchen – es war mit geschätzt an die 100 Gästen eine wirklich stark besuchte Veranstaltung im Zentrum des Bauchnabels der Welt, besser bekannt als „der Thie in Ilten“ – lernte viel Neues über die Netzwerke, die von Zentrum des Großen Freien ausgehen. Verbindungen nach Ostfriesland, Süd- und Nordbaden oder gar Niederbayern sind Insidern ja schon länger bekannt und wurden fröhlich neu betont. Jetzt aber wissen wir auch um enge Bindungen nach Florida und Kuwait; und selbst das ferne Südamerika kam mit der Erwähnung von Alpakas in den Blick.
Wir erlebten ein mit Informationen pickepacke-voll gefülltes Türchen, das die Gäste bis weit über die 20-Uhr-Grenze hinaus beisammen hielt. Was letztlich kein Wunder ist, angesichts von gleich drei „Leckerlies“, die unser lebendiger Adventskalender in seinem viertletzten Türchen als tolle Überraschung präsentierte. Günter Köpfer, Vorsitzender des Vereins „Unser Dorf Ilten“, erzählte von der Bedeutung unseres abendlichen Open-Air-Treffpunktes am „Thie“, der seit dem Mittelalter zentraler Gerichtsplatz für das Große Freie war. Zweimal pro Jahr wurde hier Recht gesprochen, wenn auch vermutlich über eher kleinere Fälle. Aber immerhin, für jeweils dreitägige Sitzungen kamen in der Gegend des Amtes Ilten offenbar genügend Streitfälle zusammen, die beim „echten Thing“ geschlichtet oder entschieden werden mussten. Bemerkenswert übrigens auch, dass (erst?!) ab 1791 zum Thie auch ein Dorfkrug gehörte, der damals auf dem Hof der Familie Tubbe eingerichtet wurde – und immerhin bis 1945 dort bestand. Die von Günter Köpfer ausgesprochene Vision, „es wäre doch schön, wenn wir heute auch wieder einen Dorfkrug hätten“, ist – wenn auch nicht geografisch exakt – gelebte Wirklichkeit. Immerhin öffnete sich das vierte Kalendertürchen am Restaurant Steiner’s bei einem echten Tubbe-Spross vom Thie...
Wichtig für den heutigen Platz in Iltens Zentrum ist auch die Erwähnung der kleinen Hofstelle Nr. 19, die um 1615 dort gegründet und nach wechselvoller Geschichte 1929 endgültig abgerissen und eingeebnet wurde. An diesem Platz habe, so berichtete Günter Köpfer, der damalige Gemeindrat dann „diesen denkwürdigen Platz herrichten lassen“, an dem sich nun die lebendige-Adventskalendertürchen-Gefolgschaft versammelt hatte.
Und von hier aus ging der gemeinsame Blick dann auch rüber zur Hofstelle 21. Von ihr erzählte Heike Benecke sehr lebendig; vor allem aus den jüngeren Jahren bis 2013, als ihre Eltern dort die Landwirtschaft aufgaben und die letzte Heu- und Strohernte einfuhren. Der Bogen war weit gespannt, von der ersten Erwähnung in der Iltener Hofliste von 1540; vom zwischenzeitlichen Eigentümer Gustav Rust zu Zeiten des 1. Weltkrieges, dessen Tochter „Frau Kruse“ von Florida (!) aus noch jahrelang hier vor Ort nach dem Rechten sah; vom Übergang der Landwirtschaft auf die Beneckes in den 30er Jahren; vom Wandel der Landwirtschaft durch Mechanisierung („der 25-PS-Lanz-Bulldog war 1946 der dritte Trecker im Dorf!“), vom Niedergang der Milchvieh-Wirtschaft nach Einführung der Milchquote in den 80-ern (die Milchkühe wurden nach Kuwait verkauft) und schließlich der Spezialisierung auf Stroh- und Heuproduktion für die Hannoversche Reitschule auf der alten Bult und für den Zoo. Über die allmorgendlichen Verkehrsstaus auf der B 65 hinter dem Trecker, der die Strohlieferung von Ilten nach Hannover fuhr, brach sogar am „Türle“-Abend fünf Jahre später noch ein genervtes Stöhnen aus den Kehlen der leidgeprüften Autofahrer; als wenn’s grad’ gestern gewesen wäre... Die Beziehung zum Hannoverschen Zoo wurde schließlich sogar so eng, dass die Ziegen und Schafe vom Steichelzoo, später sogar die exotischen Alpakas in Beneckes Scheunen bei bestem Iltener Heu und Stroh zum Überwindern ausgelagert wurden.
Die dritte Adventstüren-Überraschung trug Fritz Mannewitz mit seinem Bericht über die wechselvolle Geschichte des Pfarrwitwenhauses bei, das als Haus-Nr. 49 auch am Thie lag. Fritz Mannewitz’ Großvater und Vater führten hier in den 30-er/40-er Jahren ein Fachgeschäft für Nähmaschinen und Fahrräder, später betrieb Otto Ehlert in dem Haus ein Textiliengeschäft. Heute lebt dort Familie Wolf, die als Adventstürchen-Besucher sicher noch manche historische Information aufschnappten.
Soviel Heimatverbundenheit die Geschichten rund um den Thie für alte und nicht so alte Iltener weckten, das eigentlich Herausragende dieses Adventskalendertürchens war für mich etwas völlig anderes. Zum einen, dass beim Adventskanon (Heige Kienle hat inzwischen die Gesellschaft so sicher im Griff, dass der Ruf „Chormädels, wo seit Ihr?“ nicht mehr nötig ist) ... also beim Adventskanon unter den -zig Mitsängern nur noch zwei(!) waren, die auf das Notenblatt schauen mussten. Die Folge: Alle können und wollen den Kanon auch mehrmals nacheinander singen. Das klappt, und das klingt schön!
Zum zweiten, dass dieser äußerst lebendige Adventskalender-Termin eine „Ersatzlösung“ war für einen krankheitsbedingten Ausfall eines anderen Kandidaten. Wenn auch ungenannt und unbekannt, gehen doch herzliche Genesungswünsche in diese Richtung. Zum dritten, dass das „Unser Dorf Ilten“-Team (neben Günter Köpfer, Heike Beneke und Fritz Mannewitz sind als tatkräftige Helfer und Vorbereiter Friedhelm Prelle ebenso zu nennen wie Annette Bartels sowie Rainer Konerding und auch die jeweiligen familiären Unterstützer) so spannend die früheren Zeiten lebendig werden ließ, dass alle Zuhörer mucksmäuschenstill waren und selbst die vorbeirauschenden Autos ganz fern erschienen und gar nicht störten.
Und dann waren da noch die vielen Besucher, die zur „großen“ Iltener Geschichte ihre eigenen „kleinen“ Iltener oder auch Lebensgeschichten auspackten, miteinander austauschten, zuhörten ... getreu dem Adventskanon: „... füllen den Abend mit Leben, Freude wird weiter gegeben...“ Dankeschön für diesen Abend!
Sievert Herms
Einen Kommentar schreiben
Kommentar von Christiane Weyer |
Jaja, die Wehmut wird langsam größer, von Tag zu Tag mehren sich die Stimmen "Was machen wir denn bloß nach Weihnachten, wenn der Adventskalender sein letztes Türchen geöffnet hat?" Ich weiß es! Wir freuen uns danach 11 Monate lang, dass wir über 3 Wochen (fast) jeden Abend immer wieder so tolle Gastgeber und so nette Begegnungen hatten! Natürlich wird dann auch die Vorfreude auf den nächsten Lebendigen Adventskalender von Monat zu Monat steigen... Und eines weiß ich ganz gewiss, wie in den letzten Jahren auch, werde ich immer mal wieder die vielen tollen Berichte nachlesen! Und dankbar sein, dass sich alle beim Schreiben so viel Mühe gegeben haben, dass die Abende wieder lebendig vor Augen erscheinen! So auch dieser Bericht! Danke, Sievert, für diese wunderbare Zusammenfassung eines wunderbaren (Ersatz-?!?) Türchens, und danke an UDI, das war wieder mal eine Werbeveranstaltung für den Verein!